Es ist hinlänglich bekannt, dass sich die Erde in einer Klimakrise befindet und mit immer spürbarerer Beschleunigung auf eine Klimakatastrophe zusteuert, wenn nicht dringend Maßnahmen getroffen werden, um die Erderwärmung so weit als möglich einzudämmen. Jedenfalls ist das der überwiegenden Mehrheit bekannt, die sich von wissenschaftlichen Erkenntnissen statt von abstrusen Verschwörungstheorien leiten lässt.
Auch in der Stadt Aschaffenburg ist das bekannt – eigentlich. Schließlich wurden hier mit sehr hohen Kosten in 2011 ein Klimakonzept sowie 10 Jahre später eine Klima-Anpassungsstrategie verabschiedet und 2020 der Klimanotstand ausgerufen. Damit endet aber auch im Großen und Ganzen schon das Bemühen um das Klima. Konkrete praktische Maßnahmen, die so dringend erforderlich wären (wie deutliche Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs, konsequenter Schutz vorhandener Baumbestände, Begrünung und Entsiegelung des Stadtgebietes, klimapolitische Lenkung in den Bereichen Landwirtschaft und Ernährung, etc.) lassen weiter auf sich warten.
Statt mit dem Klimaschutz beschäftigt man sich offenbar lieber mit der Klimabewegung, die diese Maßnahmen fordert: Denn Anfang August hat die Stadt Aschaffenburg auf ihrer Website die (dort so benannte) ‚Allgemeinverfügung Letzte Generation‘ bekannt gemacht.
Demzufolge ist für Versammlungen unter freiem Himmel der Gruppe ‚Letzte Generation‘ oder ähnliche Versammlungen zum Klimaprotest im Stadtgebiet Aschaffenburg die Benutzung von Fahrbahnen von Straßen (ausgenommen sind kurzzeitige Straßenquerungen z. B. an Fußgängerampeln, Fußgängerüberwegen) untersagt. Versammlungsteilnehmer*innen dürfen sich nicht auf Fahrbahnen und in der Nähe stehende Fahrzeuge ankleben, festketten, festbinden oder niederlassen.[1]
Als Begründung für den Erlass der Allgemeinverfügung dienen drei (!) vorausgegangene Aktionen der Letzten Generation – Widerstandsgruppe Aschaffenburg im Juli: Ein Protestmarsch sowie zwei mit Festkleben verbundene Sitzblockaden auf Straßen.
Damit ist das Signal einer behördlicherseits verschärften Gangart gegen die Klimaproteste der Letzten Generation gesetzt, das nicht nur rechtlich mindestens fragwürdig, sondern auch politisch völlig verfehlt und Öl ins von Klimawandelleugner*innen und Querdenker*innen geschürte Feuer ist (z.B. leugnet der Polizist und Direktkandidat im Stimmkreis Aschaffenburg-West der AfD für die kommende Landtagswahl Jörg Baumann den menschengemachten Klimawandel[2]). Bei den ebenfalls unangemeldeten sog. ‚Corona-Spaziergängen‘, unter deren Etikett in dichter Taktung Anhänger*innen von Verschwörungstheorien mit Rechtspopulist*innen und Rechtsradikalen zum Teil zu Tausenden in der Stadt aufmarschierten, waren die Behörden übrigens nicht derart schnell mit der Beschränkung des Versammlungsrechts bei der Hand, bis im Januar 2022 hierzu eine Allgemeinverfügung erging.
Bei den Klimaprotesten ging es dagegen sehr schnell – und zur Sicherheit wird gleich einfach alles, was irgendwie und von irgendwem mit Klima zu tun hat (Text der Allgemeinverfügung: „ähnliche Versammlungen zum Klimaprotest“), eingeschränkt und mit einem Bußgeldrisiko verknüpft.
Unterstellt wird hierbei einfach in der Begründung der Allgemeinverfügung, dass es sich aufgrund des Versammlungsthemas (gemeint ist wohl ‚das Klima‘) nicht um Spontan- oder Eilversammlungen handeln könne. Dass diese generalisierende Annahme offensichtlich falsch ist, zeigt schon der Erlass dieser Allgemeinverfügung: Gegen derartige Maßnahmen ist ein Protest gerade der Klimabewegung auch kurzfristig oder spontan selbstverständlich möglich.
Die Stadt Aschaffenburg verkennt im Übrigen auch, dass Maßnahmen, die Proteste räumlich von Fahrbahnen fernhalten sollen, naturgemäß eine Klimaorganisation wie die Letzte Generation, die sich mit ihren Aktionen gerade gegen den motorisierten individuellen Straßenverkehr richtet, ungleich härter treffen, als es bei Organisationen und Protesten mit anderer thematischer Ausrichtung der Fall wäre.
Zur Begründung der Allgemeinverfügung dienen daneben weitere Unterstellungen, wie etwa
- die Unterstellung, dass die Zusammenarbeit mit der Polizei von der Letzten Generation abgelehnt werde – obwohl Vertreter*innen der Letzte Generation in Stellungnahmen darauf hinweisen, dass die Polizei vor Ort über die Routen der Protestmärsche informiert wurde und ad hoc ergangene Auflagen, wie die Beschränkung auf eine Fahrbahn, eingehalten wurden.
- oder die Unterstellung, dass die Letzte Generation die Strategie verfolge, Versammlungsauflagen zu verhindern – eine solche ‚Strategie‘ (würde sie tatsächlich verfolgt werden) könnte der Letzten Generation allerdings tatsächlich niemand verdenken, der/die die seitenlangen Auflagenbescheide kennt, in denen nach dem Gießkannenprinzip die Anmelder*innen linker Protestveranstaltungen mit allen möglichen und unmöglichen und sich immer weiter addierenden Auflagen bedacht werden und deren Versammlungsrecht beschneiden.
Umgekehrt lässt sich dagegen aber sehr wohl die Unterstellung ableiten, dass die Allgemeinverfügung in erster Linie der Abschreckung vor dem sanktionierten Klimaprotest dient. Das Motiv der Abschreckung, das der Begründung der Allgemeinverfügung deutlich zugrunde liegt, mag zur Verhinderung von Klimaprotesten tauglich sein, es ist aber weder in Anbetracht der Dringlichkeit der Klimakrise noch der Bedeutung des Versammlungsrechts angemessen oder richtig.
Soweit die Allgemeinverfügung durch bewusste Unbestimmtheit des Adressatenkreises zusätzlich auch der Abschreckung vor der Klimaorganisation „Letzte Generation“ selbst und deren Separierung innerhalb der Klimabewegung dienen sollte, so wäre das weder ein zulässiges Ziel, noch ließe sich dieses erreichen in der gegebenen örtlichen Klimabewegung, in der verschiedene Klimaorganisationen zwar mitunter mit verschiedenen Schwerpunkten und auf verschiedenen Wegen, aber kooperativ und solidarisch im Ergebnis für dieselben Ziele streiten.
Als Teil dieser solidarischen Klimabewegung fordert das Klimabündnis Aschaffenburg von der Stadt Aschaffenburg:
- Sofortige Rücknahme der Allgemeinverfügung!
- Stopp des eingeschlagenen repressiven Wegs gegen die Klimabewegung!
- Klare Positionierung gegen wissenschaftswidrige Leugnung des menschgemachten Klimawandels!
- Konzentration auf effektive Maßnahmen, um schnellstmöglich die Klimaneutralität der Stadt Aschaffenburg zu erreichen!
[1] https://www.aschaffenburg.de/dokumente/Aktuelles/Amtliche-Bekanntmachung/2023-07-Allgemeinverfuegung-letzte-Generation.pdf
[2] https://www.main-echo.de/region/stadt-kreis-aschaffenburg/joerg-baumann-afd-sieht-keinen-handlungsbedarf-fuer-die-verkehrswende-art-8005446